Polizeibeamte als Schläger in Uniform
Interview und Text von Peter Steiniger veröffentlicht auf „jungewelt.de“ am 11.06.2007
Norman Lenz ist als Rechtsanwalt für Medien- und Presserecht in Potsdam tätig. Während der G-8-Proteste in Heiligendamm unterstützte er ehrenamtlich den Anwaltlichen Notdienst/Legal Teams des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins (RAV)
Der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein beklagt einen »Ausfall rechtsstaatlicher Standards« im Umgang mit den G-8-Gegnern. Wie erlebten Sie die Situation?
Ich habe Rechtsberatungen in den Camps durchgeführt und Beschwerden formuliert. Viele Demonstranten brauchten aber auch psychologischen Beistand. Es ging mir nahe zu sehen, wie traumatisiert die Menschen sind. Besonders jene, die der Staatsmacht für eine gewisse Zeit ausgeliefert waren.
Wie sah der Arbeitsalltag der Rechtsanwälte aus?
Es war für die mehr als 100 Anwältinnen und Anwälte sehr stressig. An regelmäßigen Schlaf war nicht zu denken. Immer, wenn Gefangene in den Sammelstellen landeten, sind Anwälte dort hin, um Kontakt herzustellen und zu helfen. Weitere haben – als »Legal Team« gekennzeichnet – die Demonstrationen unmittelbar begleitet.
Eine nicht ungefährliche Aufgabe. Wie auch Ihr Kollege Dietmar Sasse erfahren mußte…
Er bot einem verängstigten, von sechs Polizisten umringten Demonstranten Hilfe an. Ein Polizist hielt diesem daraufhin den Mund zu, damit er nicht seinen Namen rufen konnte – und um so eine Mandatierung zu verhindern. Ein anderer Beamter stieß und prügelte unseren Kollegen etwa 75 Meter weit, quer über ein Feld.
Der RAV skandalisiert das Einsperren von Gefangenen in Käfigen in zwei Rostocker Sammelstellen. Die Polizei sieht alles im Rahmen der Standards. Was ist Ihre Einschätzung?
Rund um die Uhr brannte Licht, es gab keine Betten, keinen Sichtschutz zwischen Männern und Frauen. Polizeibeamte gingen die Gänge auf und ab und filmten die Gefangenen. Keine Intimsphäre, zwanzig Menschen in einer »Zelle«. Alles klar rechtswidrig. Kein Wunder, daß man die Anwälte dort nicht hineinlassen wollte.
Wie gestaltete sich Ihre Arbeit an den Gerichten?
Ingewahrsamnahmen müssen richterlich bestätigt werden. Die Gerichte waren völlig überfordert. Sie haben mit vorformulierten Beschlüssen gearbeitet. Und die Polizei handelte nach dem Motto: Im Krieg und in der Liebe ist alles erlaubt.
Konnten Sie hinter dem Agieren der Polizei ein Konzept erkennen?
Die Beamten begründeten ihr Handeln immer wieder mit Leerformeln oder einer juristischen Phantasiesprache. Rechtssicherheit herrschte nur, soweit Presse oder Anwälte dabei waren.
Sind bestimmte Polizeieinheiten durch besondere Brutalität aufgefallen?
Man muß unterscheiden zwischen den normalen und bestimmten »Kampfeinheiten«, z. B. jenen, die auch im Berliner Raum bei Demonstrationen eingesetzt werden. Es sollte nicht Aufgabe der Polizei sein, wild loszuschlagen, sondern Situationen zu klären. Neben vielen korrekten gibt es leider auch solche Polizeibeamte, die man als Schläger in Uniform bezeichnen kann. Im zivilen Leben würden sie verachtet und bestraft werden.
Wie können Übergriffe im nachhinein aufgeklärt werden?
Der RAV ist interessiert an Material, das Polizeiübergriffe dokumentiert, z. B. Filmaufnahmen. Auf der Webseite rav.de gibt es dazu ein dreisprachiges Formular. Gemeinsam mit dem RAV können Betroffene die Möglichkeit einer Strafanzeige wegen Freiheitsberaubung prüfen.
Es gibt Anhaltspunkte dafür, daß mit Provokateuren nachgeholfen wurde…
Richtig gewundert habe ich mich darüber ehrlich gesagt nicht. Das ist doch ein alter Hut bei Demonstrationen hierzulande. Ich weiß nicht, mit welchem Auftrag diese Leute unterwegs waren. Schlimm ist, daß Fehlverhalten von Polizisten toleriert wird, trotz Erfahrungen aus 30 Jahren Demonstrationskultur.
Was hat Sie dazu motiviert, die G-8-Proteste als Jurist zu unterstützen?
Als Anwalt habe ich die Ausbildung, auch auf andere Weise zu wirken, als selber zu demonstrieren. Wichtigster Grund ist mein Verständnis für progressive, revolutionäre Energien bei jungen Leuten. Bei Leuten, die etwas verändern wollen.