Gefahr und Freiheit
Rechtliche Haftung und Freiheitsentziehungen in Pflegeeinrichtungen
Potsdam, 13.07.2011
Nach neuesten Untersuchungen (vgl. Projekt ReduFix) werden in Einrichtungen der Alten- und Krankenpflege ein erheblicher Teil von Fixierungs- und sonstigen Freiheitseinschränkungen deshalb durchgeführt, weil die Betroffenen so vor den Risiken eines Sturzes geschützt werden sollen.
Diese „Praxis” beruht jedoch auf weit verbreiteten Missverständnissen und ist in vielen Fällen sogar rechtswidrig. Kaum bekannt ist etwa, dass Pflegeeinrichtungen keine generelle Aufsichtspflicht über ihre Bewohnenden haben und – bei fehlenden Hinweisen auf eine konkrete Gefährdung – keine Vorsorge gegen das allgemeine Sturzrisiko bei alten Menschen treffen müssen – einfacher ausgedrückt: ein Pflegeheim ist weder ein Gefängnis noch ein Krankenhaus.
Heimbetreiber und Pflegekräfte fürchten dagegen häufig selbst „in die Haftung” genommen zu werden und Schadensersatzsprüchen ausgesetzt zu sein, wenn es zu einem Vorfall, etwa zum Sturz eines Bewohnenden, gekommen ist. Dazu tragen nicht zuletzt übermäßig aggressive „Klagegewohnheiten” der Pflege- und Krankenkassen bei.
Die dadurch häufig provozierte Flucht in Fixierungsmaßnahmen („Wer liegt, kann nicht fallen.”) schafft jedoch neue Übel, die vielfach nicht bedacht werden.
So steigt deshalb beispielsweise der Bedarf an Kontroll- und Dokumentationspflichten der Pflegekräfte, die den oft erhofften Wegfall von Überwachungszeiten sogar vielfach überschreiten. Dagegen nimmt die Mobilität und erst recht das Vermögen zur fallsicheren Fortbewegung rapide ab, wenn Betroffene über einen längeren Zeitraum an der eigenen Fortbewegung gehindert werden. Im Ergebnis nimmt die Sturzgefährdung also zu.
Ein häufig anzutreffendes Missverständnis ist auch, dass eine richterliche Genehmigung zur Freiheitseinschränkung (§ 1906 Absatz 4 BGB) wie eine Anordnung, also als Zwang zur Durchführung, verstanden wird. So kommt es dazu, dass Freiheitsentziehungen fortgeführt werden, obwohl der Genehmigungsgrund weggefallen ist.
Aufgabe der Pflege ist jedoch in erster Linie die Förderung und Aktivierung der zu Pflegenden, nicht deren „sichere Verwahrung”. Dabei werden Form und Inhalt von Pflege in aktuellen wissenschaftlichen Debatten beständig weiterentwickelt. Dies betrifft auch die Erforschung von Alternativen zu Fixierungsmaßnahmen.
Pflegende sind daher gut beraten, sich vor allem in ihrem Fachgebiet – der Pflege – weiterzubilden. Die rechtliche Haftung bestimmt sich nämlich über den abstrakten Begriff der „schuldhaften Verletzung von Sorgfaltspflichten“ und nicht nach konkreten „Pflegevorschriften”.
Letztere existieren bislang überhaupt nicht. Für die Frage, ob ein „Pflegefehler” passiert ist, sind daher ausschließlich fachliche Maßgaben entscheidend. Die Pflegekräfte sind obendrein oft nach den Grundsätzen der sogenannten Arbeitnehmerhaftung von zivilrechtlichen Ansprüchen freigestellt.
Wir alle werden alt. Nicht jedoch unser Drang nach Freiheit. In der Abwägung zwischen Sicherheit und der Freiheit des Einzelnen sollte daher stets bedacht werden, dass es keine absolute Sicherheit gibt – auch nicht in Pflegeeinrichtungen.